Am 26./27.3.2013 trafen sich ca. 80 Teilnehmer aus vielen Ländern in Leeds zur “Voice of the Coach”- Konferenz, die in Zusammenarbeit mit dem European Coaching Council ECC und dem International Council for Coaching Excellence ICCE von der Leeds Metropolitan University durchgeführt wurde (unter Leitung von Prof. Pat Duffy und seinem Teamaus dem Global European Coaches Office). Die Konferenz war die Abschlussveranstaltung des von der Europäischen Kommission geförderten CoachNet-Projektes (www.coachnet.eu). Dieses zielt auf die Entwicklung einer Struktur zur verbesserten Zusammenarbeit und Transparenz auf europäischer Ebene. Einige Aussagen aus der Konferenz stellen wir Ihnen hier zusammengefasst vor. Vertiefend finden Sie alle vorliegenden Präsentationen unter http://www.icce.ws/events/european-coaching-council-conference-voice-of-the-coach-leeds-uk.html.
Dass der Sport sowohl gesellschaftlich wie wirtschaftlich eine große Rolle spielt ist, unbestritten. Für eine ausreichende Qualität und Quantität sind im organisierten Sport Trainer gefordert – und damit einhergehend deren Professionalisierung. Dazu reicht es nicht aus, Trainer einfach nur aus- und weiterzubilden, sondern es braucht bspw. auch eine erträgliche, ansprechende Beschäftigungssituation und –perspektive sowie eine attraktive, realitätsbezogene Anerkennung der Trainertätigkeit in Gesellschaft und Politik. Wer als Berufstrainer schon einmal nach Nennung seines Berufs die Antwort „Und was machen Sie sonst so den ganzen Tag?“ geerntet hat, weiß was gemeint ist. Das CoachNet-Projekt und somit auch „Voice of the Coach“ versuchen hier zu unterstützen und Entwicklungen voranzutreiben.
Bart Ooijen, der für den Sport Verantwortliche in der Europäischen Kommission, gab in zwei Beiträgen den politischen, vor allem europäischen Rahmen zur Kenntnis. Er betonte die Schlüsselrolle der Trainer, forderte deren Professionalisierung und gesellschaftliche angemessene Anerkennung sowie ein gutes Netzwerk der Trainer. Seine zentrale, zusammenfassende Botschaft lautete: „Involve coaches!“
John Bales, ICCE-Welt-Präsident und Chef von Coach Canada, begründete, warum Trainer in die Entscheidungsprozesse im Sportsystem einzubeziehen sind, und schlüsselte dies auf nach Aspekten, die im Interesse des Sports auf der einen Seite, des Trainers auf der anderen Seite liegen. Dazu führte er an, wie dies realisiert werden könnte und müsste (Grundlage: Befragung von 48 kanadischen Nationaltrainern). Weitere Befragungen von über 800 Spitzensport-Trainern zeigten aber auch, dass bei den Arbeitsbedingungen noch Einiges im Argen liegt. Bedenklich dabei auch, dass zahlreiche Trainer eigene Verbesserungsbemühungen i.W. auf die Belange ihrer Sportler beschränken oder bspw. wenig Bereitschaft zeigen, aus einer Teilzeit- in eine Vollzeittrainertätigkeit zu wechseln.
Die Stimme der Trainer – warum sie wichtig ist und deshalb Gehör finden sollte, war auch Gegenstand eines Beitrags von Liam Moggan (Coaching Ireland) und einer Podiumsdiskussion mehrerer Beteiligter. Nur einige Schlaglichter: Trainertätigkeit ist nichts Planbares und Einheitliches: wir unterschätzen Individualität und „Ungewissheit“. Trainertätigkeit ist nicht nur sportspezifisch, sondern hat auch viele Aspekte anderer (Hoch-)Leistungsbereiche, dazu gehören (Selbst-)Führung und Management, der stetige Blick fürs Ganze usw. Auch gibt es eine deutliche Rollenveränderung des Trainers, der „früher“ als Einzelner tätig war und heute in zum Teil großen Teams arbeitet, ohne dass er ausreichend darauf vorbereitet wird, dies zu managen. Es gibt viel zu tun (und wohl auch anderes als traditionell!).
Julian North (Leeds Met) stellte Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem CoachNet-Projekt vor. U.a.: richtige Trainervereinigungen und Trainernetzwerke, die ihren Stand vertreten könnten, gibt es in den Nationen nur begrenzt (insbesondere sportartübergreifend). Sie sind oft nicht mit Verbänden verknüpft bzw. in Kontakt, haben eine nur geringe Bindungsquote oder sprechen nur bestimmte Trainer (z.B. Berufstrainer) an. Zusammengefasst: die Gesamtheit der Trainer als solche ist nicht ausreichend repräsentiert. Und: das Tätigkeitsfeld solcher Vereinigungen ist häufig service- und dienstleistungsorientiert oder bzgl. Informations- und Erfahrungsaustausch sowie informeller Weiterbildung tätig, aber nicht im Sinne von Interessenvertretung z.B. bzgl. der Beschäftigungs- und rechtlichen Situation, der Politik und/oder der Öffentlichkeit (also im Sinne von „voice of the coach“).
James Vincent (Leeds Met) stellte Ergebnisse aus dem Projekt „Sports Coaching Insights“ vor. Vor dem Hintergrund des ISCF International Sports Coaching Framework des ICCE (siehe http://www.icce.ws/_assets/files/news/ISCF_1_aug_2012.pdf) und des dort aufgezeigten Modells der Aufgabenfelder von Trainern wurden mit Trainern und Athleten aus dem Spitzensport sowie ergänzend einigen führenden Sportwissenschaftler aus Großbritannien Interviews und Fallstudien durchgeführt. Das Modell finden Sie in der angefügten Abbildung unten auf dieser Seite. Der Modellansatz konnte weitgehend bestätigt werden. Die drei wichtigsten Felder für eine erfolgreiche Trainertätigkeit in der Gesamtschau und bei den Trainern waren 1. Vision und Strategie aufbauen 2. Umfeld gestalten 3. Beziehungen und Einfluss realisieren. Bei den Wissenschaftlern allein ergab sich in der Häufigkeit der Nennungen kleinere Abweichungen in der internen Reihenfolge sowie eine vergleichsweise deutlich höhere Bewertung der Trainings- und Wettkampfpraxis im Vergleich zu den Trainern.
Andy Abraham (Leeds Met) beschäftigte sich in seinem Arbeitskreis u.a. mit der Frage, was die Expertise von Trainern ausmache und wie diese entwickelt werden könne. Einige seiner Aussagen (mit Bezug auf Forschung und Theoriebildung durch eigene Arbeiten, aber auch auf den Nobelpreisträger Kahneman): Expertise wird durch die peer group bestimmt (hier also Trainer, nicht Funktionäre oder Sportwissenschaft); Expertise basiert zwar auf (auch wissenschaftlichem) Wissen, bildet sich aber wesentlich durch umfangreiches, informelles Erfahrungslernen und (Selbst-)Reflektion heraus; wesentliche Expertise von Trainern besteht darin, auch ohne näherungsweise vollständige Informationen unter Zeitdruck gut zu urteilen und situativ sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Sprich: hier geht es tätigkeitsbezogen ebenfalls um „voice of the coach“!
Was kann aus der Konferenz mitgenommen werden? Das Tätigkeits- und Berufsfeld des Trainers wird immer anspruchsvoller, dieses kann nur mit ausführlicher Teilhabe und Mitwirkung der Trainerschaft zukunftsfähig gestaltet werden. Dies ist noch nicht umfassend und ausreichend realisiert. Die Forderungen und Visionen sind da, in der Praxis fehlt noch einiges. Wenn man auf Deutschland schaut: hinter der Fassade der DOSB-Traineroffensive findet sich längst nicht (oder noch nicht) das, was in der Konferenz besprochen wurde, der Beirat der Bundestrainer wurde gar mit der Fusion von DSB und NOK abgeschafft. Eine sportartenübergreifendeTrainervereinigung wurde gerade erst gegründet, ob sie auch als Sprachrohr der Trainerschaft wirksam werden will und kann, bleibt abzuwarten. In manchen Ländern gibt es längst systematische Bereiche in (Sport-)Wissenschaft und Forschung, die sich nicht nur mit dem Trainieren (der Aktivität des Sportlers und evtl. dessen Steuerung durch einen Trainer) beschäftigt, sondern mit dem Trainer und seinem gesamten Tätigkeitsfeld. Hier wäre bei uns sicher mehr wünschenswert. In hohem Umfang erfahrungs- und selbstreflektionsbasierte, informelles Lernen in auch von kompetenten Trainern und erfahrenen Trainerausbildern mitdefinierten Expertise-Feldern kann es in weitgehend wissenschaftsdominierten Hochschul-Ausbildungsgängen (wegen des Merkmals der Freiheit in Wissenschaft, Lehre und Forschung ohne verbindliche Einflussmöglichkeit von Trainern und Verbänden, d.h. möglicherweise auch fern vom Berufsfeld), wie sie in letzter Zeit von manchen Akteuren gern ins Spiel gebracht werden, kaum geben. Dazu ist der Blickwinkel zu sehr wissenschaftlich und nur in wenigen Ausnahmefällen auf die berufliche Anwendung des Top-Trainers gerichtet, und das Merkmal der Freiheit in Wissenschaft, Lehre und Forschung könnte nur dann der Trainerausbildung helfen, wenn – ganz im Sinne von „Voice of the Coach“ – die Trainerschaft mit ihren Verbänden und (wie bisher) ihrer berufsbezogenen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen die letztliche Entscheidungsgewalt hat und behält. Das gezielt berufsbegleitende und –integrierende Diplom-Trainer-Studium an der Trainerakademie als zentrale Anlaufstelle in Deutschland leistet genau dies – einschließlich der (hier anwendungsorientierten) sportwissenschaftlichen Basisausbildung. Das ist ein entscheidender Unterschied zu einem lediglich wissenschaftsorientierten Studium. Was fehlt, ist die Anerkennung des Diplom-Trainer-Abschlusses auch als formaler Bildungsabschluss im deutschen Bildungssystem (bisher ist der Abschluss in Deutschland dem nonformalen Bildungsbereich zugeordnet) in Anlehnung an die Niveaustufe 6 (Bachelor), wie es u.a. die vorliegende Expertise in Bezug auf die DQR-Einordnung nahelegt.